Onboarding und Offboarding in Digitalen Ökosystemen: Eine Definition

Das Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern ist seit vielen Jahren ein maßgeblicher Vorreiter beim Design und Aufbau sogenannter »Digitaler Ökosysteme« und kann diesbezüglich Erfahrung in unterschiedlichen Domänen vorweisen, wie der Automobilindustrie, dem Bauwesen, dem Versicherungswesen und der öffentlichen Verwaltung [1]. Im folgenden Blog-Beitrag wollen wir uns der Definition des »On- und Offboarding in Digitalen Ökosystemen« widmen.

Digitale Ökosysteme: Digitale Plattformen zur Bereitstellung digitaler Ökosystemdienste

Um Digitale Ökosysteme einheitlich beschreiben zu können, haben wir am Fraunhofer IESE eine Definition des Begriffes »Digitales Ökosystem« erarbeitet und veröffentlicht [2]. Neben anderen Aspekten der Digitalen Ökosysteme, wie »digitale Plattform«, »Asset« oder« »Service«, die wir in der oben genannten Veröffentlichung ebenfalls definiert haben, stehen noch zwei weitere Begriffe regelmäßig im Fokus: »Onboarding« und »Offboarding«. Obwohl sie häufig verwendet werden, existierte nach unserem Wissen noch keine Definition, die diese beiden Begriffe im Kontext Digitaler Ökosysteme erklärt. Im Rahmen des Forschungsprojekts »D‘accord«, in dem wir ein Datenschutz-Cockpit für Digitale Ökosysteme konzipieren, entstand der Bedarf für eine Definition. Dementsprechend möchten wir diese im nachfolgenden Beitrag vorstellen.

Bevor wir uns jedoch den beiden Begriffen widmen, beginnen wir zunächst mit der Klärung, was genau ein Digitales Ökosystem ist. Dieses ist nach [2] ein soziotechnisches System, das mehrere, in der Regel unabhängige Anbieter und Konsumenten von Assets zu ihrem gegenseitigen Nutzen miteinander verbindet [3]. Ein Digitales Ökosystem basiert auf der Bereitstellung Digitaler Ökosystemdienste über digitale Plattformen. Ein Digitaler Ökosystemdienst ist durch die Vermittlung von Assets (das sog. Brokering) zwischen Anbietern und Konsumenten gekennzeichnet. Anbieter bieten Assets wie Produkte oder Dienstleistungen über eine digitale Plattform an, die diese an die Konsumenten weitervermittelt. Die digitale Plattform bildet hierbei den technischen Kern eines Digitalen Ökosystems und ermöglicht eine effiziente Vermittlung zwischen Anbietern und Konsumenten in Bezug auf das jeweilige Asset [2]. Um diesen Zusammenhang zu illustrieren, zeigt Abbildung 1 eine grafische Darstellung der typischen Konstellation in einem Digitalen Ökosystemdienst: Die Anbieter als gelbe Kreise links, die Konsumenten als grüne Kreise rechts, mit der Plattform als blauem Kreis in der Mitte, die die Vermittlung technisch ermöglicht. Am Beispiel von Airbnb Lodging ist die Vermittlung von Übernachtungsmöglichkeiten von privaten Gastgebern für Reisende abgebildet. Dies ist eines der vielen Beispiele der Plattformökonomie [4].

Abbildung 1: Illustration eines Ökosystemdiensts am Beispiel von Airbnb [eigene Darstellung]
Während des Aufbaus eines solchen Digitalen Ökosystems tauchen immer zwei komplementäre Fragen auf, die sich nicht nur der Plattformbetreiber des Digitalen Ökosystems stellt, sondern die sich auch (potenzielle) Anbieter und Konsumenten stellen: »Wie kommen Akteure in ein Digitales Ökosystem rein?« und »Wie kommen diese wieder raus, wenn sie nicht mehr Teil davon sein möchten?«. Hierfür benötigt man sowohl ein Onboarding, um in das digitale Ökosystem einzutreten, als auch ein Offboarding, um es wieder zu verlassen. Auch wir standen bereits in unterschiedlichen Projekten vor der Herausforderung, einen Onboarding- und Offboarding-Prozess zu definieren. Durch einen definierten Prozess wird ein Mehrwert geschaffen, da eine besser durchdachte und strukturierte Durchführung des On- und Offboarding eine positive Benutzererfahrung fördert [5]. Erwähnenswert sind hierbei insbesondere zwei Projekte. Im Projekt »Infra-Bau 4.0« entwarfen wir diese Prozesse für ein Digitales Ökosystem im Bauwesen und bauten hierauf ein Anbindungskonzept für das Projekt »Smarte.Land.Regionen« auf.

Warum ist ein gutes On- und Offboarding auch bei Digitalen Ökosystemen essenziell?

Ursprünglich stammt der Begriff »Onboarding« aus dem Personalwesen. Dort steht dieser Begriff für die Eingliederung neuer Mitarbeitenden und kann Prozesse wie die Einweisung in die Aufgaben und die technische Ausstattung umfassen, was sich daher nicht unmittelbar auf Digitale Ökosysteme anwenden lässt. Beim »Onboarding« handelt es sich um ein englisches Verbalsubstantiv für »taking on board« – das An-Bord-Nehmen. Offboarding ist ebenfalls ein englisches Verbalsubstantiv, allerdings für »going off board«, das Von-Bord-Gehen. Unseren Recherchen nach gibt es keine Definition speziell für das Onboarding und Offboarding im Kontext Digitaler Ökosysteme. Demzufolge haben wir eine Definition für das Onboarding und das Offboarding erarbeitet, welche sich an den Gegebenheiten und Spezifika eines Digitalen Ökosystems orientiert und auf unseren Projekterfahrungen beruht. Beginnen wir mit der Definition der Begriffe »Onboarding« und »Offboarding« an sich.

Definition von Onboarding im Kontext Digitaler Ökosysteme [6]

 

»Onboarding (auch: Anbindung) im Kontext Digitaler Ökosysteme beinhaltet alle erforderlichen Prozessschritte, um Beteiligte des Digitalen Ökosystems so in dieses mit aufzunehmen, dass die Beteiligten schnell und effizient in der Lage sind, den Digitalen Ökosystemdienst zu nutzen. Ein Digitaler Ökosystemdienst stellt die Vermittlungsleistung von Produkten und Dienstleistungen zwischen Anbietern und Konsumenten im Digitalen Ökosystem dar. Der Onboarding-Prozess ist, insofern möglich und sinnvoll, weitestgehend automatisiert.«

Definition von Offboarding im Kontext Digitaler Ökosysteme [7]

 

»Offboarding (auch: Ausscheiden) im Kontext Digitaler Ökosysteme beinhaltet alle erforderlichen Prozessschritte, um Beteiligte des Digitalen Ökosystems reibungslos und vollständig aus dem Digitalen Ökosystem zu entfernen. Ein Beteiligter kann somit nicht mehr an der Vermittlungsleistung des Digitalen Ökosystemdienstes teilnehmen. Der Offboarding-Prozess ist, insofern möglich, weitestgehend automatisiert und bildet das Pendant zum Onboarding.«

Die in den Definitionen genannten »Beteiligte des Digitalen Ökosystems« können sowohl Organisationen als auch natürliche Personen sein. Im weiteren Sinne kann mit Onboarding auch die Anbindung bzw. mit Offboarding auch das Ausscheiden anderer Akteure (z. B. externe Dienstleister) im Digitalen Ökosystem gemeint sein.

Unsere Definition möchten wir um unsere erfahrungsbasierten Prozessschritte ergänzen, die bei einem erfolgreichen On- und Offboarding in ein Digitales Ökosystem bzw. aus einem Digitalen Ökosystem durchlaufen werden müssen.

Prozessschritte des On- und Offboarding

Die Schritte für ein erfolgreiches Onboarding in ein Digitales Ökosystem sind folgende (Abbildung 2):

Abbildung 2: Onboarding-Prozess in ein Digitales Ökosystem [eigene Darstellung]
Das Scouting dient dem Identifizieren und Anwerben potenzieller Beteiligter am Digitalen Ökosystem. Das Scouting beruht primär auf Marketingmaßnahmen zum Bewerben und Bekanntmachen des Digitalen Ökosystems. Dies kann entweder durch passives Werben bspw. via Webseiten, Veröffentlichungen, Werbefilme und Flyer stattfinden oder durch aktives Werben auf Messen und eigenen Veranstaltungen. Beim informativen Onboarding werden potenzielle Beteiligte des Digitalen Ökosystems informiert, bspw. welche Mehrwerte durch das Digitale Ökosystem erzeugt werden oder wie genau sich der Onboarding-Prozess zur Teilnahme gestaltet. Im dritten Prozessschritt, dem organisatorischen Onboarding werden organisatorische Maßnahmen getroffen und rechtliche Aspekte geklärt, um die potenziellen Beteiligten in das Digitale Ökosystem aufnehmen zu können. Dazu zählen mitunter das Vorbereiten, Abstimmen und Unterschreiben von Verträgen oder das Verteilen von Zugängen zum Digitalen Ökosystem an die neuen Beteiligten. Im letzten Schritt wird dann das technische Onboarding vollzogen, welches das Aufeinander-Abstimmen von Systemen (z. B. Schnittstellenanbindung) bedingt. Danach sind alle Aspekte organisatorischer, rechtlicher und technischer Natur geklärt und dahingehend alle Aktivitäten abgeschlossen.

Das Onboarding ist erfolgreich, wenn nach Abschluss dieser vier Schritte die Beteiligten in der Lage sind, ihre Aufgaben im Digitalen Ökosystem zu erfüllen. Die Anbieter können ihre Assets platzieren und anbieten. Konsumenten können entsprechende Assets finden und konsumieren. Externe Dienstleister können unterstützende Aktivitäten ausführen bzw. für andere Beteiligte erfüllen, damit die Vermittlungsleistung gut erbracht werden kann.

Die Schritte für ein erfolgreiches Offboarding aus einem Digitalen Ökosystem sind folgende (Abbildung 3):

Abbildung 3: Offboarding-Prozess zum Verlassen eines Digitalen Ökosystems [eigene Darstellung]
Zunächst muss eine Exit-Strategie entwickelt und etabliert werden, anhand derer die relevanten Verfahren bzgl. Veranlassung und Überprüfung der Auswirkungen, Einspruch, Umsetzung und Handhabung für das freiwillige und unfreiwillige Ausscheiden eines Anbieters oder Konsumenten auf kontrollierte und professionelle Art durchlaufen wird. Im Folgeschritt »Implikationen auf andere Beteiligte« ist es wichtig, dass etwaige Auswirkungen des Ausscheidens auf andere Beteiligte des Digitalen Ökosystems und ggf. Regelungen der Implikationen berücksichtigt werden, z. B. die Übertragung von Verwaltungsrechten. Im Schritt »Abruf von Daten« muss es den Beteiligten des Digitalen Ökosystems ermöglicht werden, eigene Daten vor dem Verlassen des Ökosystems abrufen und speichern zu können. Auch der Betreiber des Digitalen Ökosystems hat hinsichtlich der Daten gesetzliche Pflichten zu erfüllen. So sieht der finale Schritt, »Archivieren & Löschen von Daten« vor, dass der Betreiber die Daten des Beteiligten fristgerecht archiviert und anschließend gesetzeskonform unwiderruflich löscht. Nach einem erfolgreichen Offboarding sind die ausgeschiedenen Beteiligten vom Digitalen Ökosystem vollständig getrennt und können keine Aktivitäten mehr darin durchführen.

Fazit

Ein gut gestaltetes Onboarding ist überlebenswichtig für jedes Digitale Ökosystem, da der Erfolg von der Anzahl der Beteiligten abhängt. Die alles entscheidenden Skalierungseffekte treten nur dann auf, wenn eine kritische Masse erreicht wird, sodass die beiden Marktseiten – d. h. Anbieter und Konsumenten – sich gegenseitig anziehen. Während des Onboarding-Prozesses sammeln die potenziellen Beteiligten ihre ersten Eindrücke über das Digitale Ökosystem und treffen die Entscheidung, ob sie sich tatsächlich beteiligen möchten. Ein einfacher und schneller Prozess für das Onboarding wirkt sich dabei unmittelbar positiv auf das Wachstumspotential aus, indem die Nutzerzufriedenheit maximiert und die Abbruchrate minimiert wird. Es ist daher wichtig, dass die Begriffe »Onboarding« und »Offboarding« nicht länger implizit verstanden werden. Indem wir diese nun explizit definiert haben, liefern wir nicht nur einen Beitrag für ein besseres und tieferes Verständnis dieser Konzepte, sondern teilen aus unserer Erfahrung, mit welchen logischen Schritten man diesen Erfolgsfaktor optimal gestaltet, um eine bessere Umsetzung in der Praxis zu fördern. Das Offboarding ist hierbei ein ebenso entscheidender Faktor, damit ein sauberer Abschied eventuellen Schaden minimiert und den Weg für ein erneutes Onboarding offenlässt.

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Literatur

[1] M. Trapp, M. Naab, D. Rost, C. Nass, M. Koch & B. Rauch (2020). Digitale Ökosysteme: Welche Herausforderungen stellt der Aufbau und wie gelingt er? In Informatik Aktuell, 23. Juni 2020, https://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/digitalisierung/digitale-oekosysteme-welche-herausforderungen-stellt-der-aufbau-und-wie-gelingt-er.html
[2] M. Koch, D. Krohmer, M. Naab, D. Rost, M. Trapp (2022). A matter of definition: Criteria for digital ecosystems. Digital Business, 2(2), 100027.
[3] D’accord (2023). Definition „digitales Ökosystem“. https://daccord-projekt.de/WP/enzyklopaedie/digitales-oekosystem/
[4] M. Koch, B. Rauch, C. Nass, M. Naab, M. Trapp, D. Rost (2021). Digitale Ökosysteme und Plattformökonomie: Definition, Chancen und Herausforderungen. Blogbeitrag, Fraunhofer IESE, https://www.iese.fraunhofer.de/blog/digitale-oekosysteme-und-plattformoekonomie-definition-chancen-herausforderungen/
[5] D. Feth, A. Eitel, C. Jung (2023). Datensicherheit in Digitalen Ökosystemen. Blogbeitrag, Fraunhofer IESE, https://www.iese.fraunhofer.de/blog/datensicherheit-in-digitalen-oekosystemen/
[6] D’accord (2023). Definition „Onboarding“. https://daccord-projekt.de/WP/enzyklopaedie/onboarding/
[7] D’accord (2023). Definition „Offboarding“. https://daccord-projekt.de/WP/enzyklopaedie/offboarding/