Ökosystem Wald- Blick in die Baumkronen gegen das Licht bis tief in die Daten von 40 Jahren Waldmonitoring

Ökosystem Wald: Wie datenbasierte Forschung & KI langfristige Veränderungen sichtbar machen

Die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Wälder sind unübersehbar: Dürrejahre, Stürme, Schädlingsbefall und veränderte Wachstumszyklen stellen die forstwirtschaftliche Praxis in Deutschland und Europa vor große Herausforderungen. Klassische Bewirtschaftungsansätze reichen oft nicht mehr aus, um diesen komplexen Veränderungen zu begegnen. Genau hier setzt das Forschungsprojekt KIWI an: Künstliche Intelligenz (KI) und datengetriebene Analyse von Daten aus dem modernen Umweltmonitoring.

Im Rahmen des KIWI-Projekts – initiiert vom Fraunhofer IESE in Kooperation mit der Universität Hamburg – werden regionale Umwelt- und Klimadaten mithilfe KI-gestützter Verfahren ausgewertet. Ziel des Projekts ist es, mithilfe von Künstlicher Intelligenz die komplexen Zusammenhänge und Einflussfaktoren in Waldökosystemen besser zu verstehen und klimabedingte regionale Risiken für die Vitalität und Mortalität von Wäldern genauer abschätzen zu können. Der Ansatz kombiniert ökologische Forschung mit technologischer Innovation und bezieht dabei auch Praxispartner aktiv mit ein, wie zum Beispiel die Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz (FAWF).

Um uns einen Eindruck von der Datenerhebung und den entsprechenden Erhebungsverfahren zu machen, besuchten die Projektpartner im Frühsommer 2025 die Umweltkontrollstation Merzalben im Pfälzerwald. Vor Ort haben Mitarbeitende der FAWF dazu beigetragen, dass wir unser Verständnis zu den unterschiedlichen Fragestellungen beim Waldmonitoring, sowie der Bedeutung der langfristigen Datenerhebung vertiefen konnten. Weiterhin konnten wir mit den Fachexpertinnen und Fachexperten erste Diskussionen zu den Wirkzusammenhängen führen.

Informationstafel zur Umweltkontrollstation Merzalben im Pfälzerwald
Informationstafel zur Umweltkontrollstation Merzalben im Pfälzerwald
Umweltkontrollstation Merzalben im Pfälzerwald
Umweltkontrollstation Merzalben im Pfälzerwald

Waldmonitoring Merzalben: 40 Jahre Datenbasis für Forschung

Die Umweltkontrollstation Merzalben gehört zu den ältesten Langzeitmonitoring-Standorten Deutschlands. Seit über 40 Jahren werden hier systematisch Umweltdaten und Vitalitätsparameter von Waldbeständen erhoben – insbesondere an der Eichen-Versuchsfläche 405, die als Referenzfläche für ökologische Langzeitbeobachtung dient.

Ein zentrales Beispiel ist die Fruktifikation – also die Samenproduktion der Eichen. Die Werte zeigen große Schwankungen, die mit klimatischen Bedingungen, Nährstoffverfügbarkeit und Stressfaktoren korrelieren:

Waldmonitoring: Die Fruktifikation der Eichen über die letzten 40 Jahre
Die Fruktifikation der Eichen über die letzten 40 Jahre

Hinweis: Die Umweltkontrollstation Merzalben bietet nicht nur Daten, sondern auch Kooperationsmöglichkeiten: Sie steht Studierenden, Forschungseinrichtungen und weiteren Interessierten offen – etwa zur Analyse, Visualisierung und Weiterentwicklung datenbasierter Forschungsansätze.

Technische Ausstattung zur Erhebung von Daten wie Luftqualität und Stoffflüssen

Die Station ist mit unterschiedlichster Messtechnik ausgestattet. Zum Einsatz kommen u. a. sogenannte V-Funnel, die dabei helfen, Stoffflüsse zu analysieren, sowie spezielle Wasserfilter zur chemischen Analyse von Niederschlag und Luftschadstoffen. Bodensensoren messen Stickstoff- und Schwefeleinträge, Feuchtewerte und Temperaturen. Ein Vergleich der atmosphärischen Belastung von 1987 bis 2023 zeigt: Die Luftqualität hat sich verbessert – aber neue Herausforderungen, etwa durch steigende Temperaturen und extreme Wetterereignisse, treten in den Vordergrund.

Messstation für WAldmonitoring: Niederschlagsmessgerät (links) und V-Funnel (rechts)
Niederschlagsmessgerät (links) und V-Funnel (rechts)

Widerstandsfähigkeit im Fokus: Biotische und klimatische Stressfaktoren

Neben klimatischen Einflüssen werden auch biotische Stressfaktoren systematisch erfasst. Dazu zählen Schädlingsbefall, z.B. durch den Eichenprozessionsspinner, sowie Pilzkrankheiten wie Mehltau. Vitalitätskennzahlen wie Kronenverlichtung, Blattstreufall oder reduzierte Wachstumsraten geben Aufschluss über die Widerstandsfähigkeit des Bestandes.

Phänologische Daten – etwa der Austriebszeitpunkt der Traubeneiche – zeigen deutlich: Der Frühling beginnt früher. Seit 1992 hat sich der Austrieb im Forstamt Hinterweidenthal um etwa zwei Wochen nach vorne verschoben. Ein klares Signal für steigende Temperaturen und sich verändernde Umweltfaktoren.

Baummarkierung zur Identifikation - Ökosystem Wald: Messung von biotischen und klimatischen Stressfaktoren
Baummarkierung zur Identifikation

Biodiversität als Frühwarnsystem: Flechten als Indikatoren

Ein oft übersehener, aber äußerst sensibler Indikator ist die Biodiversität – insbesondere das Vorkommen von Flechtenarten. Diese reagieren besonders empfindlich auf Luftschadstoffe und liefern so präzise Hinweise auf Veränderungen in der Umweltqualität. Veränderungen in der Artenzusammensetzung lassen Rückschlüsse auf Stickstoffbelastungen zu und unterstützen eine objektive Bewertung des Waldzustands.

Blick in die Zukunft

Ein zusätzlicher Besuch auf der benachbarten Douglasien-Versuchsfläche lieferte weitere Erkenntnisse über Bodenqualität, Wasserversorgung und Baumvitalität. Deutlich wurden auch die grundlegenden Unterschiede zwischen den Versuchsflächen, z.B. hinsichtlich der Belichtung des Bodens. Die gewonnenen Daten helfen dabei, die Douglasie hinsichtlich ihrer Klimarobustheit zu bewerten – ein potenzieller Baustein für eine resiliente Zukunft des Waldes.

Fazit: Vom Langzeitmonitoring des Waldökosystems über KI zu standortspezifischen Handlungsempfehlungen

Die Umweltkontrollstation Merzalben verdeutlicht, wie bedeutend langfristige, systematisch erhobene Umweltdaten für das Verständnis und die Bewertung von Veränderungen in Waldökosystemen sind. Über vier Jahrzehnte hinweg gesammelte Daten zu Luftschadstoffen, Bodenfeuchte, phänologischen Entwicklungen und Vitalitätsparametern wie Fruktifikation oder Kronenverlichtung liefern eine belastbare Grundlage für ökologische Analysen – und machen Umweltveränderungen mess- und interpretierbar.

Gleichzeitig zeigt das Projekt KIWI, wie sich klassische Umweltbeobachtung mit modernen, datengetriebenen Methoden und KI-gestützter Modellierung wirkungsvoll verbinden lässt. So entsteht ein ganzheitliches Bild über den Zustand und die Entwicklung unserer Wälder – und die Möglichkeit, konkrete, standortspezifische Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Waldwirtschaft abzuleiten.

Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender klimatischer Extremereignisse gewinnen solche integrativen Forschungsansätze an Bedeutung. Sie schaffen die Basis für resiliente, zukunftsorientierte Forststrategien und tragen dazu bei, Wälder als Lebensraum, CO₂-Senke und wirtschaftliche Ressource dauerhaft zu sichern. Die Umweltkontrollstation Merzalben steht damit exemplarisch für die Rolle datenbasierter Umweltforschung im digitalen Zeitalter – als Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Technologie und angewandtem Naturschutz.

Ausblick: Kausale Modelle und Datenintegration im Projekt KIWI

Seit diesem Arbeitstreffen beschäftigen wir uns am Fraunhofer IESE intensiv mit der Erstellung erster Kausalmodelle – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu belastbaren Entscheidungsgrundlagen in komplexen Systemlandschaften. Dabei geht es nicht nur darum, Zusammenhänge zu identifizieren, sondern explizite Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu modellieren, die ein tieferes Verständnis für systemisches Verhalten ermöglichen.

Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit ist dazu die Integration heterogener Datenquellen. Neben klassischen Sensordaten und betrieblichen Metriken berücksichtigen wir unter anderem auch Daten aus der Bundeswaldinventur. Die Herausforderung besteht darin, diese inhaltlich und technisch sehr unterschiedlichen Daten – mit variierender Struktur, Qualität und Semantik – in ein konsistentes, übergreifendes Modell zu überführen.

Team IESE & Team Universität Hamburg und Mitarbeitende der FAWF
Team IESE & Team Universität Hamburg und Mitarbeitende der FAWF

Was ist ein kausales Modell – und was bringt kausale Inferenz?

Ein kausales Modell ist eine strukturierte Darstellung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen verschiedenen Variablen oder Faktoren. Es wird verwendet, um zu erklären, wie bestimmte Ereignisse oder Zustände andere beeinflussen, und um Vorhersagen darüber zu treffen, was passiert, wenn man eine Variable verändert.
Kausale Inferenz
hingegen beschäftigt sich mit der Frage, wie man aus Daten echte Ursache-Wirkungs-Beziehungen ableiten kann – insbesondere dann, wenn keine kontrollierten Experimente möglich sind. Sie hilft dabei, kausale Effekte von bloßen Korrelationen zu unterscheiden, etwa durch Methoden wie kausale Graphen die wir im KIWI Projekt einsetzen.

Mehr zum Thema: Causal inference: An introduction on how to separate causal effects from spurious correlations in data

Dieser Blogartikel ist unter Mitwirkung unserer wissenschaftlichen Hilfskraft Julia Jedlitschka entstanden. Sie studiert Media Management an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und unterstützt das Projekt »KIWI«.