Interview: Industrie 4.0

Interview: Industrie 4.0 – Potenziale in Krisenzeiten

»Nichts ist so beständig wie der Wandel« – Heraklits Worte gelten heute mehr denn je zuvor. Veränderungen werden immer rasanter. Umso wichtiger ist es, für diese gerüstet und damit anpassungsfähig zu sein. Dies gilt insbesondere für fertigende Unternehmen. Frank Schnicke, unser Projektmanager und Koordinator für die Industrie-4.0-Lösung »Eclipse BaSyx«, geht im Interview auf Chancen und Potenziale von Industrie 4.0 ein und zeigt auf, wie Unternehmen auch oder vor allem in Krisensituationen von der Wandelbarkeit ihrer Produktionsanlagen profitieren können.

Die Lösung »Eclipse BaSyx«

 

»Eclipse BaSyx« ist unsere Open-Source-Plattform für die nächste Generation der Automatisierung. Die im Rahmen des Projekts BaSys 4 entwickelte Lösung ermöglicht es großen und kleinen Unternehmen, Forschungs- und Lehreinrichtungen sowie weiteren Interessierten an der vierten industriellen Revolution teilzunehmen. Unsere Referenztechnologieplattform bildet hierbei eine entscheidende Grundlage.

 

Auf Basis gemeinsamer Industrie-4.0-Komponenten und eines erweiterbaren SDK kann die Plattform die Entwicklung diverser Lösungen im Hinblick auf Industrie 4.0 beschleunigen. Eclipse BaSyx meistert hierbei gängige Herausforderungen der wandelbaren Produktion und treibt die Fertigung individualisierter Güter unter Nutzung von Big Data Analytics sowie der Vernetzung heterogener Systeme und Devices voran. Ausfallzeiten können somit verringert und Kosten minimiert werden.

 

Weitere Informationen zu Eclipse BaSyx unter: https://www.eclipse.org/basyx

Welche Potenziale bietet »Industrie 4.0«?

Industrie 4.0 bietet zahlreiche Potenziale. Die maschinelle Vernetzung ermöglicht es, Daten in vorher undenkbarem Ausmaß zu sammeln. Zudem tragen Digitale Zwillinge, z. B. in Form der Verwaltungsschale, zur Entstehung komplett neuer Sichtweisen auf die Produktion bei. Bestehende Abläufe können somit optimiert und neue Abläufe besser geplant werden. Unser Stichwort hierbei ist die »Was-wäre-wenn-Simulation«.

In Anbetracht verschiedener Szenarien verspricht Industrie 4.0 eine wandelbare Produktion. Dadurch sind wirtschaftliche Losgrößen bis hin zur Losgröße 1 denkbar. Durch die individualisierte Produktion kann Industrie 4.0 auch zu einer effizienteren Auslastung der vorhandenen Produktionsinfrastrukturen beitragen. Dies wiederum resultiert im Umkehrschluss in einer gesteigerten Wertschöpfung für das betreffende Unternehmen.

Unter welchen Voraussetzungen lässt sich eine wandelbare Produktion in Unternehmen einsetzen?

Die wichtigste Grundvoraussetzung für die Etablierung einer wandelbaren Produktion ist die Digitalisierung der Produktion. Sofern keine direkte Kommunikation mit meiner Maschine möglich ist, ist darüber auch kein Dienst aufrufbar.

Vorab muss eine klare Definition der bestehenden Dienste erfolgen: Welche Fähigkeiten hat meine Maschine, wie lässt sie sich parametrisieren? Im nächsten Schritt werden auf Basis der genannten Dienste bestehende Produkte beschrieben. Anschließend erstellt und optimiert dann ein Orchestrator durch die Verknüpfung dieser beiden Beschreibungen den Produktionsplan.

(Wie) kann gewährleistet werden, dass die wandelbare Produktion lukrativ ist bzw. bleibt? Entstehen tatsächlich keine Mehrkosten in der Produktion?

Die Transition zu einer wandelbaren Produktion einer bestehenden Anlage verursacht i. d. R. natürlich erst einmal Kosten. Diese werden sich aber durch die gewonnene Wandelbarkeit schnell wieder amortisieren.

Ist die Transformation nämlich erst einmal erfolgt, so fällt die Integration neuer Maschinen und Produkte deutlich kostengünstiger aus. Aufträge, die bisher an zu hohen Rüstkosten gescheitert wären, können dann beispielsweise angenommen werden. Natürlich gibt es Szenarien, in denen eine spezialisierte Produktion effizienter arbeitet. Ändert sich dann aber etwas an dem Produkt, steigen auch die Mehrkosten zur Anpassung in hohem Maße an. Ein Großteil der heutigen Unternehmen wird daher mit einer wandelbaren Produktion langfristig deutliche Einsparungen erzielen.

Welche Vorteile bietet »Industrie 4.0« in Krisenzeiten (Beispiel: Coronakrise)?

Krisenzeiten, wie wir sie aktuell erleben, stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Die allgemeine Nachfrage sinkt, doch gleichzeitig gibt es Spezialprodukte wie Beatmungsgeräte, in denen der Bedarf geradezu explodiert. Wer sich hier schnell neu positioniert, wird nicht nur die Krise überstehen, sondern auch noch gestärkt aus ihr hervorgehen. Dafür ist aber genau die Wandlungsfähigkeit notwendig, die Industrie 4.0 verspricht.

Durch eine wandelbare Produktion kann schnell auf sich ändernde Gegebenheiten reagiert werden. Zum Beispiel kann eine schnelle Umstellung der Produktion auf dringend benötigte medizinische Ausrüstung erfolgen. Dadurch wird nicht nur ein enormer Mehrwert für einzelne Unternehmen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes geschaffen. Wie genau das im Anwendungsfall hinsichtlich der aktuellen Situation im Kampf gegen das Coronavirus aussehen kann, thematisieren wir in unserem nächsten Blog-Beitrag unter dem Titel »Industrie 4.0 zur Bekämpfung von COVID-19«.

Das Interview führte Jasmin Awan,
Mitarbeiterin in der Abteilung UKTM des Fraunhofer IESE.

 

FRAUNHOFER VS. CORONA

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