Big Data in der Landwirtschaft (Fraunhofer IESE)

Mathematik und Big Data auf dem Feld – Kognitive Dienste unterstützen die Landwirtschaft

Mathematik und Big Data können die Landwirtschaft unterstützen! Wie das geht, zeigen wir am Beispiel des Fraunhofer-Leitprojekts COGNAC. – Im Bereich der Feldwirtschaft können sich z.T. täglich neue Situationen und Handlungsoptionen ergeben, die unter sich ebenfalls ständig ändernden Randbedingungen immer neu bewertet werden müssen. So entstehen, eingebettet in den landwirtschaftlichen Arbeitsprozess, hochkomplexe Situationen, in denen Reaktionen und Entscheidungen oft möglichst schnell getroffen werden müssen. Im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts COGNAC entwickelt das Fraunhofer ITWM mathematische Werkzeuge zur Datenanalyse und zur Modellierung von Pflanzenwachstum, die bei der Analyse solcher Situationen helfen und das Treffen und Anpassen von Entscheidungen begleiten und unterstützen.

Im Fraunhofer-Leitprojekt »Cognitive Agriculture« (kurz: »COGNAC«) for­schen neben dem Fraunhofer IESE weitere sieben Fraunhofer-Institute gemein­sam an Grundlagen, die Landwirt*innen in einer digitalisierten Welt hohe Produkti­vität im Einklang mit weiteren Zielen wie Nachhaltigkeit oder Produktqualität er­möglichen. Unsere Gastautoren vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM präsentieren hierzu, wie »Mathematik und Big Data auf dem Feld« eingesetzt werden können.

 

Burger, Michael (Fraunhofer ITWM)Gastautor
Dr. Michael Burger
Abteilung »Dynamik, Lasten und Umgebungsdaten«
Fraunhofer ITWM
Telefon: +49 631 31600-4414

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Fiedler, Jochen (Fraunhofer ITWM)Gastautor
Dr. Jochen Fiedler
Abteilung »Dynamik, Lasten und Umgebungsdaten«
Fraunhofer ITWM

Telefon: +49 631 31600-4771

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Im landwirtschaftlichen Arbeitsprozess werden bereits heute an vielen Stellen sehr umfangreiche Daten erhoben. Gleichzeitig stehen aus der Vergangenheit vereinzelt historische Datensätze, z.B. in Form von Ertragsbilanzen einzelner Felder oder ausgebrachter Düngemengen, zur Verfügung. Diese Gegebenheiten treffen auf eine immer bessere Qualität und Verfügbarkeit von Umgebungsdaten sowie eine stetige Weiterentwicklung mathematischer Verfahren zur statistischen Datenanalyse und zur Modellierung und Simulation. All diese Faktoren können genutzt werden, um Landwirt*innen bei den vielfältigen und z.T. hochkomplexen Entscheidungsprozessen ihres Arbeitsalltags zu unterstützen. Entscheidungshilfen sollten dabei generell möglichst automatisch auf relevante Umgebungsbedingungen reagieren können, um eine möglichst gute Empfehlung abzugeben.

Big Data in der Landwirtschaft

Im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts COGNAC forschen wir im Bereich der Nutzung und statistischen Analyse von Schlag- und Ertragsdaten, deren Aggregation und visueller Aufbereitung. Ein weiterer Fokus liegt auf der Kombination der genannten Daten mit Umgebungsinformationen wie beispielsweise Wetterdaten oder Informationen zur Feldtopografie. Wir entwickeln dabei insbesondere Methoden und Verfahren, um historische Datensätze effizient zu analysieren und sie mit den Umgebungsdaten in Bezug zu setzen. Dies dient u.a. dazu, Landwirt*innen möglichst einfach und effizient vergleichende Analysen früherer Strategien zu ermöglichen, woraus sie dann wiederum Schlüsse für anstehende Entscheidungen ziehen können. Wir konzentrieren uns dabei zunächst auf Empfehlungen im Bereich der Feldwirtschaft und Feldbearbeitung. Je nach Bodenart, Topografie, Wetterprognose, Bewirtschaftungs- und Ertragshistorie oder auch nach behördlichen Rahmenbedingungen sind hier stets verschiedene Handlungsoptionen möglich und müssen von den  Landwirt*innen oft von Tag zu Tag neu bewertet und ausgewählt werden. Hier setzen wir an und wollen mit mathematischen Werkzeugen und softwaretechnischen Umsetzungen die Landwirtschaft genau bei diesem Entscheidungsprozess strategisch unterstützen.

Im Rahmen der Arbeiten in COGNAC wurde in diesem Zusammenhang am Fraunhofer ITWM bereits ein erster Softwareprototyp entwickelt und implementiert, der es ermöglicht, historische Felddaten wie Schlagdaten zu importieren und zu visualisieren (vgl. Bild 1). Weitere Dienste und Analysefunktionalitäten erlauben beispielsweise das Gegenüberstellen von Erträgen unterschiedlicher Jahre auf demselben Feld oder auch die Berechnung und Aufbereitung einfacher Korrelationen für unterschiedliche Einflussfaktoren wie Ertrag, Wetter oder Topografie. Im Kern der Software – »unter der Haube« – arbeiten leistungsstarke und effiziente mathematische Verfahren, während die Darstellung von Ergebnissen und Analysen möglichst eingängig und intuitiv gehalten wird, um den Landwirt*innen umfänglich und verständlich Fakten sowie schnelle Hilfen für ihre Entscheidungen zu liefern.

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeiten in diesem Kontext sind Pflanzenwachstumsmodelle zur Ertragsprognose. Diese Prognosen sollen die Landwirt*innen ebenfalls in ihren Prozessen unterstützen, etwa indem sie sehr schnell mehrere »Was-wäre-wenn«-Szenarien durchspielen können, sich Ergebnisse und Tendenzen anschauen und diese in ihre Entscheidungen mit einfließen lassen können – z. B bei Fragen wie »Wie verändert sich der Gesamtertrag, wenn ich morgen dünge und es übermorgen regnet?«.

Methodisch verfolgen wir an dieser Stelle den Ansatz, bewährte Prognosemodelle mit dem sogenannten Ensemble-Postprocessing zu kombinieren, das auf dem Gebiet der Wettervorhersage wohlbekannt und etabliert ist. Pflanzenwachstumsmodelle erlauben typischerweise die Modellierung des Ertragswachstums für verschiedene Nutzpflanzen, bspw. Winterweizen, in Abhängigkeit von Wetterverlauf, Bodenart und zahlreichen anderen Umgebungsparametern. Aufgrund der Komplexität der Modelle ist eine gute Kalibrierung in der Praxis oft sehr herausfordernd, da diese eine gute Kenntnis bzw. messtechnische Erfassung aller relevanten Parameter erfordert, was sehr schwierig bzw. z.T. unmöglich ist. Dieses Problem soll durch die Nutzung sogenannter Ensembles abgeschwächt und in Teilen kompensiert werden. Ein Ensemble ist dabei eine Sammlung von Vorhersagen, welche aus unterschiedlichen Modellen oder unterschiedlichen Parametrierungen einzelner Modelle gewonnen werden können. Die Nutzung solcher Ensembles, also das Nutzen vieler Modelle bzw. vieler Eingangsparametrierungen und ihrer entsprechenden Prognosen mit ihren Stärken und Schwächen und eine anschließende Verarbeitung – im einfachsten Fall eine Mittteilung – ermöglicht es, die Vorhersagegüte zu steigern und gleichzeitig Vorhersageunsicherheiten zu quantifizieren und zu visualisieren. Erste Verfahren und Umsetzungen konnten ebenfalls bereits in der Software implementiert und eingesetzt werden – Bild 2 zeigt exemplarisch ein Ensemble, das aus unterschiedlichen Wetterrandbedingungen und den entsprechenden Einflüssen auf Ertragsmengen generiert wurde.

Im Rahmen weiterer Arbeiten sollen in COGNAC die hier skizzierten Ansätze methodisch und algorithmisch weiter ausgebaut und verbessert sowie softwareseitig implementiert und nutzbar gemacht werden. Dabei ist es uns sehr wichtig, dass die realistischen Randbedingungen des landwirtschaftlichen Alltags beachtet und berücksichtigt werden – so liegen Daten und besonders Modelle oft nur heterogen und lückenhaft oder gar nicht vor, Antworten und Entscheidungen müssen aber sehr schnell und möglichst genau gefunden werden. Darüber hinaus werden die Modelle und Analyseverfahren fortlaufend anhand realer Daten validiert und kalibriert. Hierzu, wie auch zu Fragen der praktischen Nutzbarkeit sowie der Nutzer- und Anwenderfreundlichkeit entstehender Softwarekomponenten, stehen wir in regelmäßigem Austausch mit Landwirt*innen aus der Region.

Mathematik und Big Data auf dem Feld
Bild 1: Softwareprototyp, entwickelt am Fraunhofer ITWM – Felddatenanalyse und Pflanzenwachstumsmodellierung
Mathematik und Big Data in der Landwirtschaft
Bild 2: Ensembles von Vorhersagen, generiert aus einem Wachstumsmodell; die unterschiedlichen Prognosen beruhen auf unterschiedlichen Wetterrandbedingungen

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