Videocall mit Arzt / Telemedizin mit wearables

User Centered Design im Gesundheitswesen: Das Potenzial der Digitalisierung

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist nicht nur ein Trend – sie ist eine dringende Notwendigkeit. Von Gesundheits-Apps, die uns im Alltag unterstützen, über die elektronische Patientenakte bis zu intelligenten KI-Tools zur Diagnose: Mit innovativen Technologien können wir den drängenden Herausforderungen unserer Zeit, wie dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel, wirksam entgegentreten. Doch bei all diesen beeindruckenden Möglichkeiten bleibt eine zentrale Frage: Wer steht im Mittelpunkt dieser Innovationen? Die Antwort liegt im User Centered Design (UCD). Denn nur wenn wir die Nutzer*innen – also Patient*innen, Ärzt*innen, Pflegekräfte – und ihre Bedürfnisse ins Zentrum stellen, können wir den Wandel erfolgreich gestalten.

Was ist User Centered Design?

User Centered Design (UCD) ist ein iterativer Prozess, bei dem die Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten sowie Beeinträchtigungen von Nutzer*innen von Anfang bis Ende im Fokus der Produktentwicklung stehen. Durch die kontinuierliche Einbindung verschiedener Nutzergruppen in allen Phasen des Software-Entwicklungsprozesses wird gewährleistet, dass Bedarfe entsprechend adressiert werden können. Das Entwicklungsteam entwickelt Empathie für die verschiedenen Nutzergruppen. So kann es Lösungen schaffen, die nicht nur technisch funktionieren, sondern auch intuitiv, zugänglich und effektiv in der Anwendung sind. Ein iteratives Vorgehen bedeutet, dass die Bedarfe der Nutzer*innen bereits in der Anfangsphase eines Projektes erhoben werden, z.B. durch eine Anforderungsanalyse. Im Projektverlauf werden so Konzepte entwickelt, erprobt und durch das Feedback der Nutzer*innen kontinuierlich überarbeitet. Regelmäßige User Testings helfen bei der Optimierung und Anpassung von Lösungen.

Warum ist User Centered Design im Gesundheitswesen wichtig?

Im Bereich Digital Health ist User Centered Design von besonderer Bedeutung. Um komplexe medizinische Informationen leicht verständlich und schnell zugänglich zu machen, ist es essenziell, Arbeitsabläufe, Prozesse und Anwendungskontexte zu verstehen. Die Nutzer*innen und ihre Bedarfe sind vielfältig, sei es bei der Gestaltung eines Produkts für medizinisches Personal, z.B. im klinischen Kontext oder einer Anwendung für Patient*innen zum Monitoring des eigenen Gesundheitszustands. Insbesondere bei Anwendungen für medizinisches Personal ist es häufig wichtig, zeiteffizient an die wichtigsten Informationen zu gelangen und die Sicherheit zu haben, dass diese vollständig und verlässlich sind, da wichtige Entscheidungen davon abhängen.

Der User Centered Design-Prozess hilft unabhängig von den Zielgruppen dabei, Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen – von technikaffinen Menschen bis zu Nutzer*innen mit wenig digitaler Erfahrung – einzubinden und verständliche, vertrauenswürdige Lösungen zu entwickeln. Dadurch kann die Akzeptanz digitaler Anwendungen und somit ihr Mehrwert für die Nutzer*innen erhöht werden. Bei der Gestaltung digitaler Lösungen ist es zudem speziell bei Patient*innen wichtig, die Barrierefreiheit zu berücksichtigen und etwa Sprachbarrieren, Seh- oder Hörbeeinträchtigungen zu adressieren, um eine Nutzung der Anwendung für alle zu ermöglichen. Ein Projektbeispiel aus dem klinischen Alltag, bei dem wir die Nutzer*innen in den Mittelpunkt des Gestaltungsprozesses gestellt haben, ist das Projekt OneViewMed. Für die Universitätsmedizin Frankfurt wurde in dem Projekt eine Dashboard-Anwendung zur Darstellung medizinischer Patientendaten entwickelt.

Potenziale und Erfolgsfaktoren nutzerzentrierter Gesundheitslösungen

Digitale Teilhabe

Die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung kann sowohl zur Verschärfung bestehender Ungleichheiten als auch zu deren Abbau beitragen. Daher ist es bei der Gestaltung und Konzeption von digitalen Angeboten im Gesundheitsbereich unabdingbar, die Bedürfnisse von Minderheiten und marginalisierten oder benachteiligten Gruppen zu berücksichtigen, um inklusive, gerechte und sozial nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Ein ungleich verteilter Zugang zu digitalen Gesundheitsversorgungs- und Präventionsangeboten ist u.a. abhängig vom Zugang zu Ressourcen wie Hardware und Internet. Weitere Einflussfaktoren sind die Digitalkompetenz, die Health- bzw. E-Health-Literacy der Patient*innen, das Alter und sozioökonomische Ungleichheiten.

All diese Faktoren können zum sog. »Digital Divide« bzw. der Digitalen Kluft [1] führen. Um eine Teilhabe von möglichst vielen Menschen zu gewährleisten, müssen Angebote niedrigschwellig konzipiert werden. Zudem sollten die individuellen Kompetenzen und Ressourcen, Gesundheitsinformationen zur Aufrechterhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und zu nutzen, berücksichtigt werden. Folglich ist eine Partizipation unterschiedlicher Nutzergruppen mit unterschiedlichen Bedarfen bereits bei der Konzeption digitaler Angebote notwendig. Digitalisierung sollte bestehende Ungleichheiten verringern und idealerweise eine Brücke für unterversorgte Gruppen darstellen. Eine wichtige Rolle hierbei spielen die Verfügbarkeit, die Akzeptanz und die Benutzerfreundlichkeit der Angebote.

Telemedizin und digitale Sprechstunden

Ein Beispiel für die Verbesserung der medizinischen Versorgung durch Digitalisierung sind die Telemedizin und digitale Sprechstunden. Insbesondere für Menschen in ländlichen Regionen oder mit Mobilitätseinschränkungen, Behinderungen oder chronischen Erkrankungen können Videokonsultationen der Aufrechterhaltung von adäquater medizinischer Versorgung dienen. Ärztliche Betreuung ist so auch ohne lange Wartezeiten und Anfahrtswege möglich. Bei der Nutzung telemedizinischer Angebote ist eine gute User Experience essenziell für den Erfolg und die Akzeptanz. Es ist wichtig, Unsicherheiten und Hürden bereits bei der Konzeption abzubauen. Eine leichte Bedienbarkeit auch für wenig technikaffine Menschen trägt zur Zugänglichkeit der Angebote bei.

Apps und Wearables für personalisierte Gesundheit

Apps und Wearables können eingesetzt werden, um eine personalisierte Gesundheitsüberwachung zu ermöglichen. Ein Beispiel ist das Monitoring von Blutzuckerwerten bei Diabetes-Erkrankungen. Intuitiv bedienbare Anwendungen können Patient*innen dabei helfen, ihren Gesundheitszustand besser zu verstehen, und sie befähigen, sich entsprechend zu verhalten. Hierbei ist zu beachten, dass die Nutzergruppe der Diabetes-Erkrankten sehr heterogen ist, d.h. sich Benutzer*innen durch Einschränkungen wie Komorbiditäten, eine beeinträchtigte Sehfähigkeit oder sprachliche Verständnisprobleme etc. auszeichnen können. Diese Bedarfe können Designer*innen im Gestaltungsprozess etwa durch gutes visuelles Design zur Lesbarkeit sowie eine Screenreader-optimierte Gestaltung bei Seheinschränkungen, aber auch durch verständliche, kultur- und sprachsensible Inhalte adressieren. Indem das Entwicklungsteam prototypische Konzepte während der Produktentwicklung mit verschiedenen Nutzergruppen testet, erhöht es die Akzeptanz entsprechend ihrer Bedarfe.

KI-basierte Chatbots als Helfer im Alltag

KI-basierte Anwendungen wie z. B. Chatbots können ebenfalls helfen, Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung zu adressieren. Chatbots können medizinisches Personal entlasten und Sprachbarrieren abbauen, indem sie Gesundheitsinformationen leicht verständlich in mehreren Sprachen zur Verfügung stellen. Der User Centered Design-Prozess ermöglicht die Entwicklung KI-basierter Chatbots, die als persönlich und zuverlässig wahrgenommen werden. Zwei wichtige Akzeptanzkriterien bei der Interaktion.

All diese Beispiele zeigen, dass Inklusion und Barrierefreiheit bei der Akzeptanz von digitalen Gesundheitslösungen eine wichtige Rolle spielen. Durch die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams und die Partizipation der Anwender*innen wie medizinischem Personal sowie Patient*innen im Gestaltungsprozess können UX-Designer*innen gemeinsam mit Entwickler*innen tragfähige und nachhaltige Lösungen für alle entwickeln.

Die Zukunft des Digital Health: Erfolg durch Nutzerzentrierung

Durch die Digitalisierung von Abläufen und Prozessen im Gesundheitswesen können alle Akteur*innen im Gesundheitswesen profitieren. So sind u.a. eine Entlastung des medizinischen Personals im Arbeitsalltag und die Steigerung der Versorgungsqualität für Patient*innen möglich. Allerdings ist es hierfür unverzichtbar, Anforderungen verschiedener Nutzergruppen im Vorfeld des Gestaltungsprozesses zu erheben, zu analysieren und Lösungen zu erproben. Für die Akzeptanz sind verschiedene Aspekte wie Verlässlichkeit, Datenschutz, Barrierefreiheit und eine intuitive, leicht verständliche Bedienung essenziell. Trends im Bereich Digital Health sind der verstärkte Einsatz von KI-gestützten Lösungen, Wearables, Virtual Reality (VR) und vieles mehr. All diese Technologien können nur erfolgreich eingesetzt werden, sofern die User Experience positiv ist. Nur durch das Einbeziehen von Anwender*innen in den Gestaltungsprozess können digitale Lösungen nachhaltigen Erfolg haben.

Quellen:

[1] – Alejandro Cornejo Müller, Benjamin Wachtler, Thomas Lampert (2021) Digital Divide – Soziale Unterschiede in der Nutzung digitaler Gesundheitsangebote, https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-019-03081-y